Die Entwicklung der Gitarre im europäischen Mittelalter
Erste Quellen
Aus einem karolingischen Psalter
9. Jahrhundert
Aus dem Stuttgarter Psalter
9. Jahrhundert
Die Quellenlage im Mittelalter ist sehr gering. Entweder gibt es bildliche Darstellungen der Instrumente oder
textliche Erwähnungen. Eine lexikalische Erfassung der Bauformen wie z.B. bei Sebastian Virdung am Anfang der
Renaissance ist nicht bekannt. Dadurch bleiben viele Darstellungen über Herkunft und Bauform eine Frage der Auslegung.
Dies betrifft schon die Herkunft der Bezeichnung
Gitarre und erst recht die Entwicklung und Verbreitung.
Erste Abbildungen eines gitarrenähnlichen Instruments findet man z.B. im Stuttgarter Psalter aus dem 9. Jahrhundert. Aufwändige bildliche
Darstellungen der verschiedenen mittelalterlichen Musikinstrumente werden zur Illustration in
der
Cantigas de Santa Maria, eine Sammlung von meist Marienliedern in Mensuralnoten
aus dem 13.Jahrhundert, gezeigt. Dort findet man auch erste Darstellungen von Gitarreninstrumenten.
Die Anfänge der Vihuela
it der Eroberung großer Teile des heutigen Spaniens durch die Mauren ab 711 n.Chr. kam die
arabische Laute und die marokkanische
Rabab nach Europa. Ob die
Gitarre auch auf diesem Weg zu uns kam, ist nicht geklärt. Aus der Mitte des 13. Jahrhunderts gibt es die ersten Textquellen,
die die Gitarre erwähnen. Aus
El Libro de Aleixandre stammt die Aussage:
Gitarre e viola que las cuerdas anbota - Gitarre und Viola sind Instrumente, die zu den leisen zählen.
Juan Lorenzo de Astorga, El Libro de Alexandre, hg.v.R.S.Willis, Princeton 1934
Mit Viola war hier die Vihuela gemeint, die es in unterschiedlicher Form gab.
Neben der
Vihuela de mano, die mit den Fingern gezupft wurde, gab es noch die
Vihuela de penola
(mit dem Plektrum angeschlagen) und die
Vihuela de arco (mit dem Bogen gestrichen). Die Vihuela unterschied sich
mit dem glatten Boden und den zierlicheren Ausmaßen deutlich von der Laute, der damaligen "Königin der Instrumente" im restlichen Europa.
Im Bild ist deutlich zu sehen, dass die Vihuela de arco zur einfacheren Handhabung des Bogens eine stärkere Einflankung besitzt.
Vihuela de mano und Vihuela de arco
Detail der Musikengel aus der Marienkrönung
Meister von St. Lararus - Valencia,
Spanien, ca. 1510
Ursprünglich wurde aber möglicherweise das gleiche Instrument gezupft oder gestrichen, was aber mit dem Bogen nur das Spielen ganzer
Akkorde erlaubte bzw. bei Einflankung auch der Randsaiten. Erst später erhielt die Vihuela de arco einen bogenförmigen Saitenhalter,
um jede Saite einzeln anstreichen zu können. In Spanien spielte die Laute gegenüber der Vihuela eine deutlich geringere Rolle, als
im Rest Europas. Möglicherweise war die Laute als originär arabisches Instrument im christlichen, zum Teil maurisch besetzten Spanien
nicht gelitten. An der Kopfplatte waren hinterständige Wirbel angebracht. Gestimmt wurde die Vihuela meist wie eine 6-chörige Laute und
war ähnlich der Laute für die oberen fünf Saiten chörig. Die oberste Saite, bei der Laute
chanterelle genannt, war nur einfach
ausgeführt. Durch Form und Sechsaitgkeit erinnert sie am ehesten an die heutige Gitarre, ist aber nicht der Vorläufer oder gar die
Gitarre selbst. Man sollte eher von einer Parallelentwicklung sprechen, wobei die Vihuela lange als Instrument der gebildeten
Schichten die Entwicklung voran trieb, bis sie schließlich in Vergessenheit geriet.
Guitarra ladina und morisca
la vihuela taniendo el rabé con el salterio; la guitarra serranistra, estromento con razón; allá el medio canón.
Poema de Alfonso Oncero, Rey de Castilia, y de Leon, Ausgabe Madrid 1864
Poema de Alfonso XI
1348
Guitarra ladina und morisca
Cantigas de Santa Maria
Spanien, 1260
eißt es ca. 1328 im
Poema de Alfonso XI. Die Gitarre wird darin, im Gegensatz
zu Vihuela, Rabab und Psalterium, als dem Volk zugehörig beschrieben. Im
Libro de Buen Amor unterscheidet Juan Ruiz ca.
1330 nicht nur die verschiedenen Vihuelas sondern auch eine
Guitarra morisca und eine
Guitarra ladina, also eine
maurische und eine lateinische Gitarre. Der Unterschied wird nicht beschrieben, aber man kann feststellen, dass es eine arabische
und eine europäische Version der Gitarre gab. In der
Cantigas de Santa Maria wird die
Guitarra morisca mit ovalem,
bauchigem Resonanzkörper und mehreren Schalllöchern dargestellt. Die
guitarra ladina, die der Vorläufer der heutigen Gitarre ist, hatte demnach Einflankungen. Unter anderem
heißt es bei Ruiz zum Empfang des Liebesgottes Amor am Ostertag:
Dort kommt schreiend die arabische Gitarre, scharf in den Tönen und rauh in den Noten; die bauchige Laute, die die Trisca begleitet;
die guitarra ladina schließt sich ihnen an. Die schreiende arabische Rabab mit ihrem hohen Ton [...] die Vihuela de peñola tanzt dort
mit diesen.
Juan Ruiz, Libro de Buen amor, übersetzt und eingeleitet von Hans Ullrich Gumbrecht, München 1972, S.338f.
Ist die Gitarre mit den Mauren nach Europa gekommen und hat sich in zwei verschiedene Instrumente entwickelt? Oder gab es zwei Instrumente, die auf unterschiedlichem Wege nach Spanien kamen, die man aber auf Grund der Ähnlichkeit mit der selben Bezeichnung belegte?
Johannes Klier beschreibt die
guitarra ladina als von römischen Soldaten nach Spanien gebrachte Halsinstrumente, die im Gegensatz zu den von den Griechen übernommenen Jochlauten, in den unteren Gesellschaftsschichten Verwendung fanden. Im Laufe der Zeit wurde aus der griechischen Bezeichnung
Kythara durch Lautverschiebung
Guitarra und aus dem lateinischen
latina wurde
ladina. Die gleiche Entwicklung sieht er für die
Vihuela, deren Name (wie die provençalische Bezeichnung
viola) auf dem lateinischen Wort
vitula (
vitulari - frohlocken, feiern ) basieren soll. Dadurch stellt sich der Zweig Vihuela/Gitarre als völlig losgelöst von der der Laute dar und ist eine rein europäische Entwicklung.
Hispanorum invento nannte Johannes Tinctoris (ca.1435-ca.1511), berühmtester Musikverfasser und Theoretiker seiner Zeit, 1484 die Viola bzw. Vihuela im Gegensatz zur arabischen Laute. An anderer Stelle berichtet Tinctoris von der githerra bzw. ghiterna, die deutlich kleiner und dünner im Klang ist als die Laute. Mit der Verwendung als Begleitinstrument für Liebeslieder catalanischer Frauen ist auch die Bedeutung der Gitarre, im Gegensatz zu der höfischen Laute und Vihuela, beschrieben.